Wellen by Keyserling Eduard von

Wellen by Keyserling Eduard von

Autor:Keyserling, Eduard von
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00


»Mei Mutter mag mi nit

Und kei Schatz hab i nit.

Ei, warum sterb i nit

Was tu i denn?«

Alle sangen mit, selbst die Generalin, die Mädchen falteten die Hände im Schoß, schauten mit den blanken Augen gerade vor sich hin und ließen ihre scharfen Sopranstimmen klagend in die Dämmerung hinausschallen. Doralice tat es auch wohl, sich von der eigenen Stimme in ein weiches, gedankenloses Behagen wiegen zu lassen. Ja gedankenlos, denn sie spürte es wohl, da waren so einige kleine widerwärtige Gedanken, die nur darauf lauerten hervorzukriechen. So der Gedanke an die verlegene und herablassende Art, mit der die Baronin Buttlär zu ihr gesprochen hatte, die Art, mit der Familienmütter auf Wohltätigkeitsfesten zu fremden Schauspielerinnen zu sprechen pflegten, oder der Gedanke daran, daß der Baron Buttlär während des Tanzes die Augen rollte, wie Herren sonst nicht die Augen rollen, wenn sie mit fremden Damen tanzen. Nein, daran wollte sie nicht denken, sie wollte singen. Sie schaute zu Hans hinüber. Der saß ruhig da, öffnete den Mund weit, ganz damit beschäftigt, seinen schönen Tenor recht laut erklingen zu lassen. Als das Lied zu Ende war, schwiegen alle eine Weile, träumten in die Dämmerung hinein, als fürchteten sie etwas zu wecken, das sie eben in Schlaf gesungen hatten. Endlich verkündete der Geheimrat, die Uhr in der Hand: »Jetzt bitte zum Feuerwerk, künstliches Feuerwerk habe ich nicht. Mein Feuerwerk ist der Mond, der gerade jetzt aufgeht. Bitte also mit mir dort hinaufzugehen.«

»Meine Tochter und mich lassen Sie hier«, meinte die Generalin, »ich bin alt und habe daher häufig gesehen, wie der Mond aufgeht.«

»Wie's beliebt«, erwiderte der Geheimrat, »obgleich ich glaube, daß mein Mond etwas Besonderes ist. Also wenn ich bitten darf, meine Herrschaften.« Er übernahm die Führung mit Fräulein Bork. Sie mußten einen Hügel hinansteigen. Der Baron Buttlär ging neben Doralice her, er sprach mit weicher, singender Stimme von dem Frieden der abendlichen Natur, von den Mühen und Sorgen der Landwirtschaft. Ach die Landwirtschaft war ja jetzt eine Industrie und die Poesie hatte in ihr wenig Raum. Aber wenn er, Buttlär, zuweilen abends auf seine Felder hinausging, mit seinen Feldfrüchten allein war, dann fühlte er doch wieder etwas von der Poesie der Natur. Leider sind im heutigen Kampfe des Lebens die Augenblicke so selten, in denen man sein Herz sprechen lassen darf. Oben auf dem Hügel stellten sich alle auf und schauten zu dem schwarzen Waldrande hinüber, über den der Mond groß und rot emporstieg. »Meine Leuchtkugel«, sagte der Geheimrat und Fräulein Bork meinte, die Natur sei doch schöner als alles Künstliche. Als man dort eine Weile gestanden hatte und über den Mond doch nichts Besonderes zu sagen wußte, trat man den Heimweg an. Hilmar nahm entschlossen Doralice in Beschlag. Der Weg führte an feuchtem Weidenklee vorüber, der süß duftete. Nebelstreifen lagen über dem Felde, Pferde weideten da, große, dunkle Gestalten in der Dämmerung, und von allen Seiten lockten die Rebhühner.

Doralice und Hilmar sprachen von gleichgültigen Dingen, sie sprachen von Pferden, vom Reiten, aber ihre Stimmen nahmen einen ruhevollen vertraulichen Klang an, wie es Stimmen an Sommerabenden gern tun.



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